Mit dem Cochlea-Implantat könntest du hören!

Jeder kennt sie: Videos, in denen oft junge Menschen in Tränen ausbrechen, weil sie das erste Mal wieder hören. Oder Babys, die „das erste Mal die Stimme ihrer Mutter“ hören, wie es beschrieben wird. Diese Videos tauchen immer wieder auf. Sie zeigen vor allem eins: Erfolgsgeschichten. Und sie zeigen Menschen, die durch Technik wieder repariert werden, wieder normal sind. Das Cochlea-Implantat (CI) soll dabei als Kabel in der Hörschnecke implantiert dafür sorgen, dass Menschen wieder normal hören.

So ist es aber nicht. Und das ist auch der Grund, warum viele Gehörlose oder Taube den Begriff „Hörgeschädigt“ ablehnen. „Schaden“ heißt ja, etwas ist kaputt. „Etwas ist kaputt“ heißt: Es kann auch repariert werden. So sind Gehörlose seit Jahrhunderten das Forschungsobjekt hörender Menschen gewesen: Wie kann der kaputte Gehörlose repariert werden?

Foto: Rawpixel / Envato Elements

Das CI ist der Höhepunkt dieser Entwicklungen. In den späten 1970er Jahren wurde es das erste Mal implantiert und wird seitdem als Wundermittel gegen Taubheit angepriesen und vermarktet. Doch es funktioniert nicht immer. Trotzdem wird es von vielen Ärzten als Heilmethode suggeriert. Es werden Kleinkinder einer trotz Routine nicht risikofreien Operation unterzogen, bei der Löcher in Schädel gebohrt und Kabel verlegt werden. Nach der Operation — so sie erfolgreich verläuft — erfolgt jahrelange Sprach- und Hörtherapie. Oft zulasten einer gesunden Eltern-Kind-Beziehung. Hinzu kommt, dass Ärzt:innen oft noch von der Gebärdensprache abraten und behaupten, dass das Kind sonst keine Lautsprache lernen wird. Doch was nützt die beste Aussprache dem Kind, wenn es nicht hört? Oder wenn das CI kaputt geht? Oder das Kind zu denen gehört, bei denen das CI gar nicht funktioniert?

Deshalb sollte Gebärdensprache immer die erste Wahl sein. Sie funktioniert, das Kind kann sie sofort lernen, ohne auf einen Operationstermin zu warten, und es hat ein Leben was davon. Das Dilemma hierbei ist, dass die Eltern in der Regel keine Gebärdensprache können, und in den allermeisten Fällen keine Muttersprachler sind. Eine gesunde Sprachentwicklung ist für das Kind so schwierig, deshalb ist es unabdingbar, solchen Kindern eine pädagogische Begleitung mit muttersprachlicher Gebärdensprachkompetenz zur Seite zu stellen. Eine Finanzierung durch Sozial- oder Integrationsämter ist möglich. Ebenso werden Gebärdensprachkurse für Eltern finanziert.

Ein anderes Thema ist das CI bei Menschen, die hörend geboren sind und nach dem Spracherwerb ertauben. Für diese ist es oft ein einfacher, ja banaler Umstieg: Nach der Operation erfolgt eine kurze Rehabilitation, ein paar Einstellungen, und mit etwas Eingewöhnung können diese Menschen wieder Lautsprache verstehen. Der Erfolg ist allerdings sehr individuell: Zwischen fast hörend und stark schwerhörig ist alles drin.

Für erwachsene Gehörlose ist der Spruch „Mit dem CI könntest du hören!“ eine Zumutung. Ja, sie wissen, dass es das CI gibt. Und sie haben sich in den meisten Fällen entschieden: Für die Gebärdensprache — und ziehen deswegen ein CI gar nicht in Erwägung. Oder sie wollen gerne ein CI haben, aber sind ungeeignet. Der Spruch reibt dann nur Salz in die Wunde. Vor allem zeigt der Spruch, dass der Mensch nicht als Mensch wahrgenommen wird, sondern als kaputt und reparaturbedürftig. Das ist entwürdigend.

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