Die Verwirrung ist groß: Dein Gegenüber hört dich nicht und gibt auch keinen Ton von sich. Aber kaum ist „Bist du taubstumm?“ aufgeschrieben, kommt es zu großer Empörung. Eigentlich logisch: Kein Ton kommt an, kein Ton kommt raus – klare Diagnose: taubstumm!
Doch weit gefehlt. Weil stumm nur ist, wer nichts sagen kann (oder wie der Fernseher stumm geschaltet ist), geht „taubstumm“ nicht. Denn die allermeisten Gehörlosen sprechen! Und zwar Gebärdensprache (die übrigens nicht international ist): Eine Sprache, die komplett visuell ist, den Raum in der Höhe, Tiefe und Breite ausnutzt und mit Händen, Mimik und Körperhaltung ihre Sätze formt. Dabei gibt es so einige Unterschiede zur sogenannten Lautsprache, also der akustischen Sprache. Während in der Lautsprache alle Wörter der Reihe nach genannt werden müssen, kann die Gebärdensprache ganze Sätze in einer einzigen Bewegung zusammenfassen. Sie ist dabei kein Hilfsmittel, sondern bedient sich ganz eigener grammatikalischer Regeln, da sie als Sprache natürlich entstanden ist. Dabei ist sie einer Bilder- oder Filmsprache fast schon näher: Besonders in der Gebärdensprachpoesie werden Stilmittel eingesetzt, die sich am ehesten mit Schnitten und Zooms beschreiben lassen. Auch Rollenübernahmen zur Darstellung verschiedener Sprecher:innen oder Standpunkte gibt es. So ist ein Zeigefinger, der durch die Luft kurvt, erst ein Auto in der Entfernung, dann machen die Hände die Lenkerbewegungen nach: Die Sprecherin übernimmt jetzt selber die Rolle der Autofahrerin. Wenn die Fahrerin mit der Beifahrerin spricht, wird so auch die Rolle und der Blickwinkel übernommen. Feinheiten, die sich Anfänger:innen erst nach und nach erschließen.
Davon abgesehen ist das Wort „stumm“ von der Bedeutung her mit dem „dumm“ verwandt, wie es im Englischen besonders deutlich wird: Da heißt „dumb“ nicht nur „stumm“, sondern auch „dumm“. Logisch, dass „deaf and dumb“, wie „taubstumm“ auf englisch heißt, wie eine Beleidigung wirkt und somit aus dem Wortschatz verbannt wurde. Im Deutschen tut man sich damit noch schwer. Für Verwirrung sorgt darüber hinaus, dass in den letzten Jahren immer wieder Leute den Begriff „taub“ bevorzugen, weil die Verneinung der Endung -los beim „gehörlos“ fehlt. Dafür lehnen andere wiederum den Begriff „taub“ ab: Zu sehr ist das Wort verbunden mit dem Gefühl körperlicher Taubheit, etwa eines eingeschlafenen Armes. Die Lösung? Einfach fragen oder abwarten, wie die Person sich selbst bezeichnet. Auf jeden Fall kommt es gut an, wenn ihr zeigt, dass ihr Bescheid wisst, dass es verschiedene Begriffe gibt.
Eines muss klar sein: „taubstumm“ ist ein absolutes No-Go — außer in historischen Texten, wenn etwa von „Taubstummenanstalten“ die Rede ist. Abgesehen davon gibt es natürlich auch Gehörlose, die Lautsprache sprechen, aber für den ersten Kontakt lieber bei Gebärden- oder Schriftsprache bleiben. Einfach, weil sie hier die ganze Kontrolle darüber haben, was sie sagen und was beim Gegenüber ankommt.