Im Grunde ist Gebärdensprache nicht anders als jede andere Sprache. Von daher braucht man auch je nach Talent unterschiedlich lange, um sie zu lernen. Es gibt jedoch ein paar entscheidende Unterschiede:
1. Viele Hörende lernen Gebärdensprache erst spät: Die meisten Menschen lernen in der Grundschule bereits eine Fremdsprache, in einer Zeit, in der das Gehirn noch jung und flexibel ist. Gebärdensprache hingegen wird an Schulen noch nicht unterrichtet. Es gibt erst ein paar Bundesländer, welche die Gebärdensprache als Wahlpflichtfach eingeführt haben. Daher ist es so, dass fast alle Hörenden die Gebärdensprache erst an der Universität lernen, etwa wenn sie anfangen, Gebärdensprachdolmetschen zu studieren. Dann sind sie in der Regel schon über 18 Jahre alt, spät, um eine Sprache zu lernen. Wer als Elternteil Gebärdensprache lernt, etwa weil das eigene Kind gehörlos ist, der ist meist noch älter.
2. Aller Anfang ist schwer: Anders als bei anderen Sprachen kann man nicht einfach in ein Land fahren, in dem nur gebärdet wird, oder sich Filme in Gebärdensprache angucken oder Bücher in Gebärdensprache lesen. Stattdessen muss der persönliche Kontakt gesucht werden. Je nachdem, wie intensiv dieser ist, desto schneller geht’s mit dem Lernen.
3. Talent: Wie allgemein beim Sprachen lernen ist die natürliche Begabung auch ein Faktor. Manche Menschen sind zudem zusätzlich noch visuell begabt, können sich Bilder besser merken und diese wiedergeben, oder haben einfach Handgeschick. Eine gute Kombination aus Talenten (Sprachen, Motorik, visuelles Gedächtnis) fördert ein schnelles Erlernen.
4. Motivation: Der allerwichtigste Faktor ist wahrscheinlich die Motivation. Wenn Eltern wegen ihrer Kinder Gebärdensprache lernen, oder sich ein hörender in einen gehörlosen Menschen verliebt, dann sind gute Voraussetzungen geschaffen, denn die emotionale Bindung zur Sprache und zum Lernen macht es leichter, Anlässe zu finden, die Sprache zu verwenden und sie dadurch schneller zu lernen. Am besten ist es natürlich immer, wenn die Sprache natürlich genutzt wird und zur Gewohnheit wird. Unter Zwang lernt es sich schlecht — siehe auch die Abneigung vieler Gehörloser der Laut- und Schriftsprache gegenüber. Wichtig ist, dass das Lernen Spaß macht, und am besten funktioniert das Lernen, wenn es sich nicht wie Lernen anfühlt.
Doch auch ohne gehörlosen Partner:innen oder Kinder kann der Spracherwerb der Gebärdensprache leicht gefördert werden: In vielen Gehörlosenzentren finden regelmäßig Zusammenkünfte statt, auch Kofos („Kommunikationsforen“) bieten Gelegenheit zum Austausch mit Gebärdensprachlern. Daneben gibt es auch Gebärdensprache-Stammtische, bei denen sich neue und fortgeschrittene Schüler:innen zum Austausch und Üben treffen können. Das klassische Tandem ist auch eine gute Möglichkeit, Gebärdensprache zu lernen: hier verabreden sich Hörende und Gehörlose extra, um gemeinsam die Sprache zu üben.