Was ist die Kulturelle Aneignung von der Gebärdensprache?

Das Konzept der Kulturellen Aneignung ist in letzter Zeit zu einem umstrittenen Thema geworden, insbesondere auch innerhalb der Gebärdensprachgemeinschaft. Dies liegt an der Tatsache, dass die Machtverhältnisse zwischen tauben und hörenden Menschen in diesem Bereich unausgewogen sind. Der Ausgangspunkt war: Eine Dolmetscherin für Deutsche Gebärdensprache und Deutsch war sehr erfolgreich in der Musikbranche und übersetzt Lieder in die Deutsche Gebärdensprache. Ihre Übersetzungsarbeit kam bei hörenden Menschen sehr gut an, die aber keine Gebärdensprache verstehen. Die Dolmetscherin war in der Medienlandschaft sichtbar. Viele taube Menschen sind damit nicht einverstanden. Als Reaktion darauf hat die Gruppe „Deaf Performance Now!“ eine Protestaktion gegen diese Dolmetscherin durchgeführt, um die Forderung nach einer Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe zwischen tauben und hörenden Menschen im Kulturbereich zu unterstreichen.

Foto: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de

Zu Kritikpunkten gehört auch: Die Übersetzungsarbeit von der Dolmetscherin war oft unverständlich. Der andere Kritikpunkt: Die Gebärdensprache und die Kultur der Gehörlosen gehören ihnen. Hörende Menschen nutzen die „schöne“ Gebärdensprache für sich, wodurch sie sich selbst in den Mittelpunkt stellen und die Gehörlosen ignorieren. Dieses Verhalten wird als unangemessene „kulturelle Aneignung“ wahrgenommen. Die Protestgruppe „Deaf Performance Now!“ verlangte von hörenden Dolmetscherinnen überhaupt nicht, ganz mit der Musikübersetzung aufzuhören. Zu ihren Forderungen gehörte: Ein sichtbarer Anteil von mindestens 51 % von tauben Menschen bei der Teamarbeit, der Bühnenpräsenz und der Öffentlichkeitsarbeit. Das bedeutet, dass hörende Dolmetscherinnen weiterhin Lieder in die Deutsche Gebärdensprache oder in anderen Gebärdensprachen übersetzen können, aber nicht ganz allein.

Bei der Diskussion geht es nicht nur um Machtverhältnisse, Respekt und Privilegien allein, sondern auch um die Verständlichkeit der Übersetzungsprodukte. Lieder in die Deutsche Gebärdensprache zu übersetzen, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Taube Menschen wachsen mit der Gebärdensprache auf und haben oft ein sehr feines Sprachgefühl. Doch stoßen sie auch oft auf sprachliche Barrieren und können Musik nicht vollkommen wahrnehmen. Die ideale Lösung wäre: Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe zwischen tauben und hörenden Menschen, die zu hervorragenden Ergebnissen führen kann.

Viviane Grünberger hat Deaf Studies studiert und ihre Bachelorarbeit zum Thema „kulturelle Aneignung“ geschrieben. Wie definiert sie „kulturelle Aneignung“ und was sind die Kernpunkte dabei, wollte die Sendung „Sehen statt Hören“ wissen. Viviane Grünberger: „Kulturelle Aneignung meint, dass die Mehrheitsgesellschaft immer die dominante Kultur darstellt, wobei die Minderheit täglich mit Barrieren zu kämpfen hat und benachteiligt wird. Die Minderheit entwickelt aber auch eine eigene Kultur, z.B. im Bereich der Kunst […]. Währenddessen die Minderheit versucht, ihre eigene Kultur weiterzuentwickeln, interessiert sich die Mehrheit dafür und bedient sich einfach dieser Kultur […], dass Kulturen ausgebeutet werden.“

In welchen Bereichen passiert „kulturelle Aneignung“ in der Gehörlosengemeinschaft ganz konkret? Grünberger: „Bei meiner Forschung habe ich zwei Bereiche beleuchtet. Zum einen den Bereich des Musikdolmetschens […] und zum anderen den Bereich Film und Fernsehen, wo auch häufig das Thema „Gehörlosigkeit und Gebärdensprache“ aufgegriffen wird. Und wenn es dann um die Rollenbesetzung geht, sind es Hörende, die einfach ein bisschen Gebärden lernen – mehr schlecht als recht – und dann eine gehörlose Person spielen. […] ohne jeglichen kulturellen Hintergrund und der vollen Kompetenz in der Gebärdensprache. […] Beim Musikdolmetschen ist für mich interessant, dass es verschiedene Perspektiven gibt. Es gibt die Frage, warum nicht gehörlose Performer eingesetzt werden? Oder die Frage, wer hat die Macht, wer hat das Netzwerk? Meistens sind es Hörende, die einen einfacheren Zugang zu entsprechenden Netzwerken haben. Für Gehörlose ist es schwierig. […]“

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